„Ist das noch Punkrock?“ haben die Ärzte auf ihrem letzten Studioalbum Auch (2012) bereits gefragt. Sobald Punkrock in Pop abdriftet, ist die deutsche Branchen-Polizei nicht fern. Mit Unsere Stadt Brennt wagen Radio Havanna den gefährlichen Tanz.
Die vier Jungs aus Suhl haben seit ihrer Gründung im Jahr 2002 im Grunde alles richtig gemacht. Sie spielen glaubwürdigen Punkrock mit politischen Texten und treten dazu live als Support Act u.a. von Bands wie Lagwagon, No Use For A Name, A Wilhelm Scream und Die Toten Hosen auf. Zahlreiches Engagement für die Hilfsorganisation Oxfam und öffentlichkeitswirksame Kampagnen wie für Free Pussy Riot oder Kein Bock Auf Nazis haben die letzten beiden Alben (Lauter Zweifel und Alerta) begleitet. Jetzt scheint Radio Havanna die nächste Stufe zünden und ihre Botschaften an eine größere Masse adressieren zu wollen. Für das neue Album Unsere Stadt Brennt haben sie sich dafür Schützenhilfe von den Produzenten Andi Jung (Beatsteaks, Bela B., Seeed) und Archi Alert (Terrorgruppe, K.I.Z.) gesucht. Punkrock Ausverkauf?
Musikalisch ein trojanisches Pferd
Und in der Tat fällt beim ersten Hören auf, dass die Band musikalisch gewachsen und lyrisch gereift zu sein scheinen. Dabei geht in einigen Liedern ihre alte Energie und Rohheit verloren. Die Flüchtlings-Hymne Schiffbruch als Album Opener macht zunächst einen knackigen Eindruck und bildet die Brücke zu den vorherigen Werken. Politisch engagiert wie eh und je, kritisiert Sänger Fichte die europäische Politik der Abschottung. „Wann wollt ihr uns hören wenn tausend Stimmen ertrinken. Wann wollt ihr uns hören, wenn tausend Träume versinken.“ Ähnliche Ohrwurm Granaten sind das hymnische Dynamit, Komm Zurück und Sturm. Alle Lieder sind klassiche Punktrock Nummern, die in einem etwas poppigeren Gewand daherkommen und dabei wunderbar funktionieren. Muff Potter lässt grüßen.
Leider ist die Single Raketen, ein wenig über das Ziel geschossen. Nicht wirklich schlecht, aber dennoch wie am Reißbrett entstanden, fällt der Song deutlich gegen die anderen Lieder ab. Das wütendere Kaputt im Anschluss scheint den Härte-Haushalt wieder ausgleichen zu wollen, nur leider auch nicht wirklich spannend. Ähnliche Sing-A-Long Nummern hat man schon dutzend-fach gehört. Kippt die Stimmung etwa? Zum Glück fängt sich Unsere Stadt Brennt bei den nächsten Liedern wieder.
Hervorzuheben ist noch Feuer. Der Disco Pop Refrain sorgt sicherlich beim ersten Hörern für verwunderte Gesichter. Läßt man sich auf das Pop Experiment der Band ein, macht das Lied Spaß. Der Titeltrack Unsere Stadt Brennt steht für musikalische Horizont-Erweiterung. Die Dynamik und Variabilität mit dem Hauch Raeggae Dub wäre noch auf dem Vorgängeralbum nicht möglich gewesen.
Pogo Tanz mit kleinen Ausrutschern
Radio Havanna haben den Pogo-Tanz mit dem Pop überwiegend gut gemeistert. Die vielen neue Elemente klingen frisch und bereichern den Sound der Band. Unsere Stadt Brennt wird viele neue Fans gewinnen. Die Bühnen der Republik werden größer werden. Es sei den engagierten Jungs gegönnt. Den rohen Ton des großartigen Vorgängers Alerta vermisse ich aber schon. Und naja… ein wenig Angst schwingt beim Hören der Single Rakete dann doch mit.