Zugegeben, wir haben lange darauf gewartet. Im Oktober 2013 veröffentlichen Arcade Fire endlich Reflektor, den Nachfolger von The Suburbs. Die größte Indie Art Pop Band der Gegenwart steht im Zugzwang und inszeniert ein ordentliches Marketing Brimborium im Vorfeld. Da wird das neue Logo in Grossstädten an die Wand gesprayt, Informationen häppchenweise veröffentlicht und die erste (7 1/2 -minütige!) Single gar unter einem anderen Namen veröffentlicht. Auch die Tatsache dass Reflektor ein Doppelalbum geworden ist, macht das ganze (fast) doppelt spannend. Achja, habe ich die griechische Mythologie schon erwähnt? … Ist das alles heiße Luft oder kann Arcade Fire dem selbst entfachten Sturm gerecht werden?
The Suburbs musste ich mir erarbeiten, zu sehr roch das Ganze zunächst nach Öko Folk. Und auch wenn mittlerweile die meisten Lieder bei mir zu Automusik-Klassikern geworden sind, hat das Album einen Durchhänger (Seid mal ehrlich, wer mag Sprawl?). Ganz anders ist da Reflektor. CD 1 gerät zum Strudel der alles und jeden mitreisst. Vor ein paar Jahren habe ich LCD Soundsystem auf einem Festival gesehen und war begeistert von den elektronischen Songstrukturen und -Elementen, die nicht mit einem DJ sondern mit einer Band perfekt umgesetzt wurden. Daran erinnert Reflektor. Kein Wunder, hatte LCD Soundsystem Supermind James Murphy seine Finger im Spiel. Die Songs sind deutlich länger, können entspannt durchatmen und erinnern streckenweise an Live-Sessions. Gleichzeitig sind die Lieder weniger klassische Rockmusik, stattdessen rhythmischer oder elektronisch angehauchter. Win Butler nennt als musikalische Inspiration seinen ersten Besuch auf Haiti und den Kontakt mit der dort beliebten Rara Musik. Das Korsett von The Suburbs ist also gesprengt. …Here comes the night time…
Die durchtanzte Nacht
Der Titeltrack Reflektor repräsentiert das Album gut. Einen 80er Jahre Tanzflächen Füller, der im Gewand eines modernen Elektrosongs live eingespielt worden ist. David Bowies Gast Auftritt macht Sinn. „I thought I found the connector, it’s just a Reflektor “ Der Basslauf von We Exist bedient sich an Michael Jacksons Thriller und harmoniert perfekt mit der Gesangslinie. Here comes the night time verwirrt durch ungewohnte karibische Percussions vermischt mit Dub Anleihen, und ist nicht nur wegen seinen starken Rhythmikbrüchen unwiderstehlich. Here comes the night time I,II sollte wie haitianischer Karneval klingen, so Win Butler in einem seiner Interviews im Rolling Stone. Alle Songs hier sind stark extrem unterschiedlich – hervorzuheben ist noch Normal Person, der Indie / Space-Rockdisco Song, den ich ab sofort in den Sapphos, Backstages oder Stroms dieser Welt hören möchte. Hinter CD 1 können wir einen Haken machen, eines der vielfältigsten und inspirierendsten Alben 2013.
Der verträumte Bruder
CD 2 grenzt sich davon ab. Sie zeigt die zurückhaltende Seite von Arcade Fire. Elektronische Elemente, aber nicht unbedingt für die Tanzfläche. Nach dem ruhigen Einstieg weiß Awful sound (Oh Eurydice) sich durch den Refrain im Ohr festzuhaken. Der folgende Songbruder It’s never over (Hey Orpheus) ist das letzte Aufbäumen der vorherigen Tanzwut, inklusive groovendem Basslauf. Fingerschnippsen und kurzes 3-Ton Synthesizer Motiv, das sich wie ein Mantra stoisch wiederholt, machen Porno aus und leiten in die letzte Album Hälfte ein, die erst im 11 minütigen Supersymmetry mit seinen elektronischen Klangteppichen in balladeske Sphären entgleitet. Das darin enthaltende instrumentale Outro fügt dem Album keine nennenswerten Neuigkeiten hinzu und beendet das grossartige Album.
Zwei Fragen habe ich noch
Was haben die musikalischen Karibik / Karneval Anleihen mit griechischer Mythologie zu tun? Die Antwort findet sich im Album-Stream, unterlegt mit Szenen aus dem Film Black Orpheus von 1959. Darin wird der Orpheus und Eurydike Mythos in die Neuzeit, genauer gesagt zum Karneval in Rio De Janeiro transportiert. Black Orpheus sei einer der Lieblingsfilme der Bandmitglieder und maßgeblicher Einfluss auf Reflektor.
Ist denn unbedingt ein Doppelalbum nötig gewesen? Zumal Reflektor auch der Falle eines Doppelalbums nicht ganz entkommen kann. Wären 1-2 Lieder auf die B-Seiten ausgelagert worden und an ein paar Stellen gekürzt, wären wir nah an dem perfekten Indie-Pop Album. Das ist zugegeben Jammern auf hohem Niveau. So haben wir jetzt zwei CDs mit recht unterschiedlichen Stimmungen und respektablen 85%, die bombenfest stehen. Danke, Arcade Fire!
Ein Gedanke zu „Reflektor“