Unser Lieblings Flanellhemdträger Chuck Ragan hat es wieder getan. Nach dem Ausflug mit Hot Water Music beschert er uns auf Till Midnight zehn neue Songs, tief eingetaucht in Americana und klassischem Folk.
Soweit so gut. Doch was an Till Midnight wirklich spannend ist, ist die Tatsache, dass sich Chuck Ragan an einem richtigen Band-Album versucht. Und das ist nicht einfach: Die breite Palette an neuen Instrumenten will wohlweislich genutzt werden, bevor Songs gar zu überfrachtet werden. Fragt einmal Conor Oberst, der sich an Cassadaga die Zähne ausgebissen und das vielleicht schlechteste Album der Bright Eyes veröffentlicht hat. Wunden leckend veröffentlichte er anschließend sein erstes viel spärlicher instrumentiertes Soloalbum.
Doch Chuck Ragan hat einen Joker in der Hinterhand der sich Revival Tour nennt. Jener fahrender Zirkus besteht überwiegend aus Mitgliedern von Hand ausgewählter Punkrock Bands, die mit der Akustik-Klampfe neues und altbekanntes Liedgut von sich geben. Und dort hat sich Chuck Ragan für Till Midnight Hilfe in Form von Gitarrist Todd Beene (Lucero) und Drummer David Hidalgo Jr. (Social Distortion) geholt. Als Gastsänger haben sich u.a. Dave Hause, Jon Snodgrass und Jenny O um das Lagerfeuer versammelt.
Und das funktioniert. Einerseits scheint die Chemie zwischen den Mitgliedern zu stimmen. Die Stimmung ist ausgelassen leidenschaftlich und überwiegend fröhlich. „Ich wollte ein bestimmtes Gefühl einfangen“ beschreibt Ragan die Aufnahmesessions von Till Midnight, zu denen er alle Musiker eine Woche in sein Haus in Kalifornien einlud. Der andere Grund ist, dass alle Beteiligten dem Song dienen. Keine Egotrips oder unnötige Spielereien. Einfache und mitreißende Melodien, hier und da ein kleines Solo oder eine Bridge, und schon stehen zehn gute Songs, ohne wirklichen Ausfall.
Wer Chuck Ragan von Klassikern wie For Broken Ears kennt, wird sicherlich zunächst ein wenig verstört auf die Single Something May Catch Fire reagieren. Fiedel Solo mit kräftigem Schlagzeug, das Album beginnt ungewohnt. Die Aggression des Troubadors, das Anprangern der Gesellschaft, fehlt. Der Sound klingt stattdessen ungewohnt voll und positiv. Aber daran gewöhnt man sich schnell und freut sich stattdessen auch über die folgenden Non-Typical und Bedroll Lullaby. Chuck Ragans Whiskey-getränkte Stimme klingt besser denn je. Das gesamte Album tanzt mit Americana und Rock Klischees, ohne jemals die Grenze zu überschreiten. Gave My Heart Out ist am nächsten am Radio-Hit, aber selbst das verstimmt nicht. Die ruhigen Momente Wake With You und For All We Care sind geschickt positioniert und machen das Album rund. Während sowohl Feast or Famine als auch Covering Ground trotz großartiger Songs in Gesamtheit ein wenig anstrengend ausgefallen sind, ist Till Midnight das rundere und bessere Album geworden.
Freuen wir uns auf die nächste Chuck Ragan Tour und hoffen, dass es viele neue Songs in die Setlist schaffen.
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Plattenkritik von Bjoern, 20.03.2014
Gesamtpunktzahl: 80%