Jetzt ist es also passiert. Muff Potter kommen zurück, und der Platten-blog erwacht aus seinem Winterschlaf. Gibt es einen besseren Grund als diese B-Seiten Zusammenstellung unserer Lieblings Angry-Pop-Musiker? Ist der ganze Trubel zu Muff Potters Re-Union, Re-Issue und Re-Touring nur ein bunter Kirmesausflug, wo alle (bitte) gewinnen. Oder ist das vielleicht sogar der Start in eine neue Phase der Band? Kann der Funken auch 10 Jahre danach wieder überspringen? Die Band aus Rheine hat die Antwort selbst noch nicht und macht aus dieser Situation das Bestmögliche: Hübsche Vinyl-Neuauflagen, eine (fast) ausverkaufte Tour durch Deutschland und anstelle von neuer Musik erst einmal eine B-Seiten Compilation – maximales Zufriedenstellen der Fans. Und gerade letztere mit dem treffenden Namen Colorado weckt Assoziationen an Fruchtgummi, Lakritz und diese hellbraunen Karamell-Linsen, die immer übrig bleiben– da ist für jeden etwas dabei.
Eine Reise bis in den Proberaum
Die Raritätensammlung umfasst 25 Songs und reiht rückwärts-chronologisch EP-Beiträge, B-Seiten, alternative Versionen, Cover-Versionen und Demos aneinander. Das dies nicht wie ein einheitliches Album klingen kann und stattdessen wie eine Reise von den großen Bühnen in die kleinen Proberäume klingt, macht die Sache abwechslungsreich und wird vor allen Dingen Fans beglücken. Denn zu entdecken gibt es viel. Picken wir uns einmal ein paar Fruchtgummis raus.
Viel Fruchtgummis und wenig Karamell-Linsen
Unter den ersten Liedern findet sich gleich die melancholische Version von 22 Gleise später. Der Song, der ursprünglich auf Von Wegen erschient, macht hier im langsamen Tempo (23 Gläser später) einiges her und gibt den starken Lyrics mehr Gewicht.
Auf meiner Fußmatte (steht Welcome) stammt wohl aus der Gute Aussicht-Session und zieht mit 93 Sekunden das Tempo an und hätte auf der zweiten Hälfte des Albums gut gepasst. Auch textlich steht das Stück dem starken Album in nichts nach.
Bitter Lemon und Ein Requiem für die gute Laune sind etwas vertrackter und stammen aus der „Steady Fremdkörper“-Zeit. Bitter Lemon ist eigentlich ein guter Song, klingt hier ein wenig lang und zwischendurch etwas ziellos. Mit einem finalen Schliff hätte es sicher auch ein Highlight auf dem ursprünglichen Album werden können.
Die Kreisklasse-Version von Los Stop Schade funktioniert ähnlich wie 23 Gläser später, entrümpelt den ursprünglichen Song und stellt die Lyrics in den Vordergrund. Und dann hat der Song noch dieses phänomenale Quatsch-Intro.
Das Team Dresch-Cover Don’t try suicide mit Jule März am Gesang fällt beim ersten hören gleich auf und versprüht einen angenehmen DIY-Charme. Viel besser noch das Cover von Teenage Kicks, das so positiv simpel und naiv klingt, dass es einen sicheren Platz auf den Mixtapes aus meiner Jugend verdient gehabt hätte, wenn ich nur den Kassettenrecorder finden würde. Ganz nah dran an dem großartigen Bizarre Love Triangle Cover von Nagel (solo).
Colorado? Gelungen!
Auch wenn nicht jeder Song sitzt, Colorado unterstreicht noch einmal mit dickem Edding, warum Muff Potter so bedeutend für die deutsche Alternativ-Musikwelt waren und es noch immer sind. Wer die Band nur flüchtig kennt, wird wahrscheinlich nicht viel mit diesem Album anfangen können. Aber für die ist Colorado auch nicht gedacht. Hier geht’s um die Fans. Die Vorfreude auf das Konzert ist enorm. Mal schauen, ob es ein nostalgischer Abend wird, oder plötzlich tatsächlich der Anfang von etwas Neuem und Gutem.
Plattenkritik von Bjoern, 10.11.2018
Gesamtpunktzahl: 75%